Vorab und um Missverständnissen vorzubeugen: Im Folgenden handelt es sich um meine Einzelmeinung als gewählte Stadträtin und nicht um die Meinung der SPD-Fraktion.
Warum habe ich gestern dem Beschlusspunkt 1 der Sitzungsvorlage Grundsatzbeschluss Stadtbahnhof – Ertüchtigung und Modernisierung des Busbahnhofs 2016 / V 00290 nicht zugestimmt?
Im Vorfeld haben sich für mich einige Fragen zum Beispiel zur künftigen Führung der Radfahrer, zur gewünschten Überdachung der Busbuchten, zum geplanten Wegfall der Kiss&Ride-Plätze auf der Südseite des Bahnhofs und letztlich auch zur Zukunftsfähigkeit eines ZOB auf der Südseite aufgeworfen.
In der gestrigen Sitzung habe ich meine Fragen an die Verwaltung gerichtet und für mich keine befriedigenden Antworten erhalten – im Gegenteil: In einigen meiner Befürchtungen sah ich mich danach sogar noch bestärkt, so dass ich der kompletten und endgültigen Verwerfung der Nord-Variante nicht zustimmen wollte und konnte.
Meine Gründe im Einzelnen
Radfahrer
Radfahrerquerung Ost / West: Seit des Rückbaus der Unterführung vom Bahnhofsplatz zur Werastraße nutzen Radler die neue, gerade Strecke als „Schnellweg“ zwischen Riedlepark- und Werastraße. Das ist auch so gedacht und soll so bleiben. Heute bewegen sich die Radfahrer zwischen den Kurzzeitparkenden direkt vor dem Bahnhofsgebäude und dem fließenden Verkehr, der an- und abfahrenden Busse und PKW, sowie den querenden Fußgängern zwischen Bahnhof und Busbuchten. Künftig soll dieser chaotische Zustand mit hohem Unfallpotential nur durch die Herausnahme der PKWentflochten werden. Ob die Radler dann künftig zwischen den parkenden Bussen und der Ein- und Ausstiegskante oder zwischen ruhenden und fahrenden Bussen durchgeleitet werden, bleibt den Planern überlassen – beides Varianten bleiben risikobehaftet.
Haltestelle Süd
Eine Verlagerung des Busbahnhofs auf die Nordseite würde einer „normalen“ Bushaltestelle auf der Südseite nicht grundsätzlich widersprechen. Eine Ringlinie könnte sowohl den Stadtbahnhof, als auch die Haltestellen GZH(noch einzurichten) und Werastraße bedienen.
Überdachungen
Das Bahnhofsgebäude ist denkmalgeschützt. Aus diesem Grund kann zum jetzigen Zeitpunkt niemand sagen, ob eine ausreichende Überdachung der Busbuchten vom Denkmalschutzamt gestattet werden wird. Im ungünstigsten Fall hätten wir in Bezug auf den Wetterschutz keinerlei Verbesserung für die Wartenden an den Bushaltestellen.
Kiss & Ride
PKWdürfen den Bahnhofsplatz auch künftig noch von der Friedrichstraße aus befahren, Anwohner und Hotelgäste können so ihre privaten Stellplätze erreichen, Kunden der Poststelle und des Rewe-Marktes können das neue Parkhaus Seestatt (die ersten 30 Minuten sind frei) oder die wenigen oberirdischen Kurzeitparkplätze vor der Post nutzen. Die sogenannten „Kiss&Ride“-Plätze vor dem Bahnhofsgebäude fallen ersatzlos weg. Reisende, die mit dem PKWzum Zug gebracht werden, sollen künftig von der Nordseite her anfahren, bzw. das Parkhaus am Stadtbahnhof nutzen.
Zukunftsfähigkeit ZOB
Wir sind für eine Stärkung des ÖPNVund werden weiterhin alles dafür tun, dass die Öffentlichen Verkehrsmittel immer noch besser angenommen werden. Das bedeutet im besten Fall auch mehr Nutzer in den städtischen Bussen. Das könnte bedeuten, dass hier mittel- bis langfristig die Kapazitäten ausgebaut werden müssen, was wiederum bedeuten könnte, dass unser Bahnhofsvorplatz nicht ausreichend Platz für die gestiegenen Anforderderungen bietet.Die Folge könnte sein, dass in 20 Jahren das ganze Prozedere von neuem aufgerollt werden muss – allerdings mit der Einschränkung, dass das Grundstück auf der Nordseite nicht mehr zur Verfügung steht.
Bebauung Nord
Auf der Nordseite der Gleise ist laut Verwaltung eine hochwertige städtebauliche Entwicklung angedacht. Noch gibt es keine konkreten Pläne dafür, allerdings ist durchaus auch von Wohnbebauung die Rede. Der Problematik der Lärmentwicklung durch die an- und abfahrenden (dieselbetriebenen) Züge soll mit entsprechenden Schallschutzmaßnahmen Rechnung getragen werden.
Argumente der Verwaltung
Weiter kann ich die von der Verwaltung dargestellten Vor- und Nachteile der beiden Varianten Süd / Nord nicht in Gänze nachvollziehen:
Die von der Verwaltung genannten Argumente für die Südseite:
- Das Tor zur Stadt, zur Innenstadt bleibt für ankommende ÖV-Nutzer erhalten: Willkommen in der Stadt am See. Natürlich ist es schön wenn man — egal ob Häfler, Alltags-ÖV-Nutzer oder Fernreisender — in Friedrichshafen mit dem Blick auf den See Bus fährt. Schön wäre es jedoch sicher auch, wenn man durch die Verlegung des ZOBauf die Nordseite 1. evtl. eine insgesamt kürzere Fahrt hätte um von A nach B zu kommen und 2. Der Blick, wenn Reisende aus dem Bahnhof treten oder umgekehrt Menschen vom Uferpark aus auf den Bahnhof blicken keine Busse im Sichtfeld stehen.
- Der Stadtbahnhof wirkt weiterhin auch als Gebäude in seiner kulturgeschichtlichen Bedeutung als der zentrale ÖV-Ort von Friedrichshafen. Die heutige Südvariante war als Notlösung gedacht. Ein Provisorium, das nun zementiert und für die Ewigkeit bleiben soll.
- Doppel-Investitionen (sowohl auf der Süd- als auch auf der Nordseite) sind nicht notwendig. Stimmt.
- Kurze Wege für Umsteiger bleiben bestehen und lassen Chancen für künftige Multimodalitäts-Angebote an etablierter zentraler Stelle, auf der „Schokoladenseite“. Gerade weil es sich hier um die Schokoladenseite handelt, sollten wir sie nicht als Verkehrsfläche nutzen. Auch sind die kurzen Wege reichlich relativ: Diejenigen Reisenden, die auf Gleis 5 ankommen hätten nach Norden einen deutlich kürzeren Weg …
Von der Verwaltung genannte Nachteile der Nordseite:
- Es entsteht erheblicher Mehrverkehr in der Eugenstraße und am Knotenpunkt Eugen-/Riedlepark-/Charlottenstraße. Eine Verlagerung des Verkehrs würde nicht ausbleiben. Allerdings geschieht das auch durch die grundsätzliche Beruhigung der Friedrichstraße und die geplante nordseitige PKW-Andienung für den Bring- und Hol-verkehr.
- Die Haltestelle St. Elisabeth, Werastraße ist aufzugeben und alle von Westen kommenden / nach Westen gerichteten Regional und Stadtbuslinien wären über den Hofener Mini-Kreisel zu führen. Eine Ring-Linie könnte durchaus auf der Friedrichstraße verkehren und damit nicht nur die Haltestelle Stadtbahnhof-Süd bedienen, sondern weiterhin auch die Haltestelle Werastraße.
- Es entstehen längere Wege für Umsteiger Bus – Bahn. Wie oben bereits erwähnt ist die Länge der Wege relativ.
- Neu ankommende ÖV-Nutzer benötigen intensive Orientierungshilfen, vor allem in Richtung See und Innenstadt. Hier würde mich brennend interessieren, ob z.B. der Münchner Stadtrat auch über die mangelnde Orientierungsfähigkeit der ÖV-Nutzer diskutiert hat und wann in Friedrichshafen die modernen Mittel zur Wegweisung ankommt — wie heißt das jetzt noch mal? Schilder?
- Eine wie z.B. im Entwurf des Verkehrsentwicklungsplans geforderte neue Haltestelle GZHan der Friedrichstraße wäre Verkehrswirtschaftlich kaum sinnvoll ins Liniennetz miteinzubinden. Die Haltestelle GZHkönnte ebenso wie die Werastraße durch die Ring-Linie angebunden werden. Zumal: Obwohl bis heute alle Linien aus oder in Richtung Westen am GZHvorbeifahren und die Lage des GZHimmer als verkehrsgünstig bezeichnet wird wurde bis heute keine “Haltestelle GZH” eingerichtet.
- Es entstehen sowohl erhebliche Investitionskosten für eine Neuanlage des ZOBauf der Nordseite, als auch solche für die Umgestaltung des bisherigen Bahnhofsvorplatzes. Ja, es würden vermutlich tatsächlich höhere Kosten entstehen. Die Frage ist doch nur: Was ist es uns wert in die “große” Zukunft zu investieren?
- Die Frage nach neuen Nutzungen und damit Belebung auf dem bisherigen Bahnhofsvorplatz ist ohne die Frequenz bringenden ÖV-Nutzer schwieriger zu beantworten. Es wird ein Planungsverfahren geben. Die Planer werden beauftragt, für alle wichtigen und noch offenen Fragen Lösungen zu finden und dem Gemeinderat vorzulegen. Ich bin mir sicher, auch für die alternative Nutzung des Bahnhofsvorplatzes hätten die Planer mit Freude Lösungen gefunden — und wenn nicht die Planer, dann sicher die Häfler. Zur Not hätten wir so auch einen guten Platz für die neue Skateanlage gefunden 😉
- Ein ZOBmit Nachtbusbetrieb verursacht im unmittelbaren Nahbereich wie auch im weiteren Umfeld der Eugenstraße erhebliche, neue Immissionskonflikte. Dieser Nachteil für die Nordseite ist tatsächlich nicht von der Hand zu weisen. Wobei sich hier künftig sicher auch Lösungen finden lassen würden, z.B. über den Einsatz von E‑Bussen.