Eins kann ich gleich vorneweg feststellen: Das Thema polarisiert. Da gibt es die einen, die wie ich quasi mit den Tieren mitleiden, und es gibt die anderen, die von Tradition und Gewöhnung sprechen und es einfach schön finden. Weil ich mich nun aber zu dem Thema öffentlich geäußert und auch einen Antrag an die Verwaltung dazu vorbereitet habe, will ich hier noch mal zu erklären versuchen worum es mir eigentlich geht. (Den Antragstext findet Ihr am Ende des Beitrags als PDF)
Gibt es eine richtige oder falsche Meinung?
Schwierig. Vielleicht sollte man besser von Haltungen und Einstellungen sprechen. Meine Haltung zum Thema ist:
Keine Tiere in der Unterhaltungsbranche und somit auch nicht in Zirkussen.
„Warum nicht?“
Weil kein Wildtier, kein Tiger, kein Elefant, kein Känguru in freier Wildbahn jemals auf die Idee kämen, das zu tun, zu was sie im Zirkus dressiert wurden oder hat schon mal jemand einen Elefanten im Handstand durch die Afrikanische Steppe laufen sehen? Und das, was sie tatsächlich tun würden wollen, was also ihrer Art entspricht, das ist in keiner Gefangenschaft möglich.
Zirkus gibt es doch schon so lange – wieso sollte man das jetzt verbieten?
- Elefanten: leben in matriarchalen Gruppen aus bis zu 30 Elefantenkühen mit ihren Kälbern. Sie sind nachgewiesenermaßen hoch sozial und sehr sensibel.
- Tiger: Einzelgänger, die täglich 25 km und mehr laufen und gerne schwimmen.
- Kängurus: Dämmerungs- und nachtaktive Einzelgänger die sich maximal in losen Sozialgruppen zum Fressen zusammenfinden.
Ich glaube nicht, dass irgendjemand den Zirkus an sich verbieten will. Ich jedenfalls will das nicht. Aber warum genau braucht es dafür heute eigentlich noch Wildtiere? Ganz viele von uns haben Zirkus-Kindheitserinnerungen: Das große Zelt, der Geruch, Popcorn, die Musik, echte und gefährliche Tiere, leuchtende Augen, Aufregung und Spannung. Das sollen jetzt die eignenen Kinder und Enkelkinder auch erleben dürfen. Es geht um das Weitergeben von Erinnerungen und das erhalten vonTraditionen. Also ein echt schwieriges Feld für Veränderung, weil mit ganz viel Emotionalität verbunden. Übrigens: Bereits von den Sophisten (ca. 4. Jhdt. vor Christus) wurde die Auffassung vertreten, dass es für ein Vernunftswesen wie den Menschen unangemessen sei, wenn dessen Handeln ausschließlich von Konventionen und Traditionen geleitet würde.
Veränderung von Traditionen – geht das?
Na klar, millionenfach ließe sich das in unserer Geschichte belegen, was war früher nicht alles anders oder sogar besser und trotzdem: Es hat sich verändert und kaum einer investiert so viel Zeit und Energie, dass sich die Uhr zurückdreht. Um nur ein Beispiel zu nennen:
Völkerschauen
Völkerschau bezeichnet eine Zurschaustellung von Angehörigen eines fremden Volkes. Blütezeit der Völkerschauen in Europa war zwischen 1870 und 1940. Allein in Deutschland wurden in dieser Zeit über 300 außereuropäische Menschengruppen vorgeführt. Teilweise wurden in diesen „anthropologisch-zoologischen Ausstellungen“ gleichzeitig über 100 Menschen zur Schau gestellt. Völkerschauen waren Massenveranstaltungen, die ein millionenfaches Publikum in Europa und Nordamerika anlockten. Sie fanden auch abseits der Großstädte in mittelgroßen und kleinen Städten statt. (Quelle: wikipedia) Bis weit ins 20. Jahrhundert hinein gab es Völkerschauen, auch bei uns, erst um 1950 endete diese Tradition, die Sehnsucht nach Exotik bedienten nun Film und Fernsehen sowie die aufkommenden Fernreisen. Wer könnte sich eine nicht freiwillige Zurschaustellung von Menschen anderer Ethnien wie sie bis vor 60 Jahren auch in Deutschland Tradition hatte, heute noch vorstellen?
„Zirkus ohne Tiere ist kein Zirkus!“
Das sehen manche Zirkusse allerdings ganz anders, so z.B. Cirque de Soleil, der Chinesische Staatscirkus und Zirkus Flicflac. Seit vielen Jahren erfolgreich, weltberühmt, anerkannt für die hohe Qualität und das alles ganz ohne Tiere. Es ist machbar.
„O.K., dann soll die Bundesregierung das verbieten, da haben wir als Stadt doch gar nichts damit zu tun!“
Stimmt – und stimmt nicht. Die SPD setzt sich seit langem für ein besseres Tierschutzgesetz, das auch ganz ausdrücklich Wildtiere in Zirkussen miteinbezieht, ein. Leider wurde bislang nichts draus, denn:
In der Großen Koalition hat die Union bislang ein Wildtierverbot verhindert, obwohl laut der Umfrage selbst 60 Prozent der CDU/CSU-Wähler die Haltung der Tiere ablehnt. Nach CDU-Fraktionsvorsitzenden Volker Kauder soll es auch in Zukunft kein Verbot geben. Das geht aus einem Schreiben seines Büros hervor: „Ich kann Ihnen versichern, dass weder Herr Kauder noch die CDU/CSU-Fraktion im Deutschen Bundestag für ein generelles Verbot der Haltung von Wildtieren im Zirkus sind.“
Quelle: Mehrheit der Deutschen gegen Wildtiere im Zirkus, frontal 21 vom 03.03.2015
auf derselben Seite finden sich weitere Zitate und Aussagen, ebenso ein Interview mit der tierschutzpolitischen Sprecherin der SPD Fraktion, Christina Jantz.
Doch der Koalitionspartner SPD hält dagegen. Christina Jantz, tierschutzpolitische Sprecherin der SPD-Fraktion, fordert in einem Interview mit Frontal21 ein Verbot: „Wir werden das auch in dieser Legislaturperiode wieder versuchen, anzugehen.“ In vielen europäischen Ländern gilt längst ein Wildtierverbot – im September tritt ein solches Gesetz in den Niederlanden in Kraft.
Zitiert werden auch namhafte Vertreter anders- und umdenkender Zirkusse:
Für Bernhard Paul, Mitgründer und Zirkusdirektor des Circus Roncalli, sind Wildtier-Aufführungen im Zirkus nicht mehr zeitgemäß. Roncalli verzichtet seit Jahrzehnten auf Wildtiere in der Manège. Seiner Meinung nach werde sich ein Verbot nicht verhindern lassen. Paul fordert finanzielle Unterstützung für die Zirkus-Unternehmen: „Diese Zirkusse, die sich jetzt umstellen müssen, sollten auch die Möglichkeit haben, die Umstellung auf Artisten zu finanzieren.“
Ausgeführt wird auch, dass es nach 2003 bereits im Jahr 2011 eine erneute Initiative des Bundesrates gab, die wieder an der Blockadehaltung des uniongeführten Bundesministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz (BMELV) gescheitert ist. Interessant in dem Zusammenhang:
Auch die Bundestierärztekammer spricht sich für ein Wildtierverbot im reisenden Zirkus aus wie auch die Mehrheit der Bevölkerung in Deutschland. Einer aktuellen repräsentativen Umfrage der Forschungsgruppe Wahlen zufolge, die Frontal21 in Auftrag gegeben hat, finden rund zwei Drittel der Befragten Wildtiere im Zirkus nicht mehr zeitgemäß.
Die Stabsstelle Tierschutz des Ministeriums für ländlichen Raum (BW) informiert in einer aktuellen Handreichung, wie die Städte und Gemeinden Wildtierzirkusse unter Berücksichtigung rechtlicher Gegebenheiten von kommunalen Flächen konkret ausschließen können. (Link zur Handreichung)
Zum Schluss noch was Persönliches
Offensichtlich ist es so, dass das Thema Tierschutz so sehr emotionalisiert, dass es immer auch persönlich wird (wie lebst du denn, darfst du überhaupt gegen Tierquälerei sein?) und / oder mit anderen Themen vermischt wird („Lass den Unsinn mit den Viechern, setz’ dich lieber für richtig wichtige Probleme ein“).
„Dann ess halt keine Tiere!“
Und, weil ich darauf angesprochen wurde: Nein, ich esse seit Jahren aus ethischen Gründen kein Fleisch und keine Fleischprodukte mehr, kaufe Lebensmittel wann immer möglich auf dem Markt oder beim Bauern und versuche Produkte, bei deren Herstellung zu irgendeinem Zeitpunkt Tierversuche gemacht wurden zu vermeiden. Das ist alles nicht immer ganz einfach, aber möglich. Andere Haltungen und Einstellungen kann ich aber durchaus tolerieren
„Setz Dich lieber für die wichtigen Themen ein!“
Für mich ist es so, dass ich sowohl das eine tun kann ohne das andere zu lassen. Und ich bemühe mich, mein Leben so zu leben, dass ich möglichst wenig Schaden anrichte – das gelingt nicht immer, aber der Wille ist schon mal da 😉 So und jetzt aber fertig. Gute Nacht. Ach ja, der Antrag ;): Antrag-auf-ein-kommunales-Nutzungsverbot-fuer-Zirkusse-mit-Wildtieren