Wohn­raum für Fried­richs­ha­fen“ heißt die Offen­si­ve, die die Stadt Fried­richs­ha­fen 2015 gestar­tet hat. Schon vor der Zuwan­de­rung der vie­len Geflüch­te­ten im Jahr 2015, haben sich die Stadt­ver­wal­tung und der Gemein­de­rat Gedan­ken zur Unter­brin­gung von obdach­lo­sen Men­schen gemacht, zu denen häu­fig auch Men­schen mit Flucht­hin­ter­grund in der Anschluss­un­ter­brin­gung gehören.

Bei allen Ent­schei­dun­gen im Gemein­de­rat und im Bei­rat der Städ­ti­schen Woh­nungs­bau­ge­sell­schaft (SWG) hat die Grü­nen-Frak­ti­on immer nach fol­gen­den Leit­li­ni­en abge­stimmt, wenn es um Wohn­raum für obdach­lo­se Per­so­nen im gesam­ten und Geflüch­te­te ging:

  • Fried­richs­ha­fen braucht mehr Wohn­raum für alle Bevöl­ke­rungs­schich­ten und ins­be­son­de­re mehr bezahl­ba­ren Wohn­raum für Men­schen mit gerin­gem Ein­kom­men – also auch für Geflüch­te­te und Obdachlose.
  • Geflüch­te­te Men­schen und Men­schen, die von Obdach­lo­sig­keit betrof­fen sind, sol­len men­schen­wür­dig woh­nen. Dazu gehört für uns, dass Fami­li­en in der Anschluss­un­ter­brin­gung eine voll­wer­ti­ge, die Gesund­heit nicht beein­träch­ti­gen­de Woh­nung mit eige­ner Küche und Bad bewoh­nen kön­nen. Aktu­ell sind vie­le Fami­li­en in der Anschluss­un­ter­brin­gung in Häu­sern unter­ge­bracht, die auf­grund ihrer maro­den Bau­sub­stanz längst für den Abbruch vor­ge­se­hen sind. Schim­mel und Nage­tier­be­fall sind dort kei­ne Sel­ten­heit. In der ers­ten Pha­se, in der Men­schen in Fried­richs­ha­fen von der Erst­un­ter­brin­gung durch den Land­kreis in die Anschluss­un­ter­brin­gung der Stadt Fried­richs­ha­fen wech­sel­ten, war die Nut­zung die­ser Not­woh­nun­gen unum­gäng­lich. Zu vie­le Ein­zel­per­so­nen und Fami­li­en waren von Obdach­lo­sig­keit betrof­fen, zu weni­ge Woh­nun­gen wur­den auf dem frei­en Markt über pri­va­te Ver­mie­ter zur Ver­fü­gung gestellt. Und auch die SWG konn­te nicht mehr als die jeweils frei­wer­den­den Woh­nun­gen zur Ver­fü­gung stellen.
  • Wir ste­hen für die För­de­rung der Inte­gra­ti­on – und des­halb für eine dezen­tra­le Unter­brin­gung in unter­schied­li­chen Orts­tei­len. Gleich­zei­tig sehen wir jedoch auch die Not­wen­dig­keit einer Inte­gra­ti­ons-Beglei­tung durch Sozi­al­ar­bei­ter, Ehren­amt­li­che, Quar­tiers­treffs, Kir­chen­ge­mein­den, Ver­ei­ne usw. Die­se Unter­stüt­zung geling unse­rer Ansicht nach leich­ter, wenn meh­re­re Fami­li­en in klei­nen gemein­sa­men Wohn­ein­hei­ten (= Mehr­fa­mi­li­en­haus-Unter­brin­gung) an unter­schied­li­chen Orten im Stadt­ge­biet ver­teilt wohnen.
  • In den ver­gan­ge­nen fünf Jah­ren hat sich gezeigt, dass die SWG bei einer Fluk­tua­ti­on im unte­ren ein­stel­li­gen Bereich auf Dau­er nicht in der Lage sein wird, jähr­lich alle bzw. 15 frei­wer­den­den Woh­nun­gen für die Anschluss­un­ter­brin­gung an die Stadt abzu­ge­ben. Zwei Grün­de spre­chen dagegen:
  1. Durch die Viel­zahl von Bewohner:innen in der Anschluss­un­ter­brin­gung bei der SWG kommt es bereits heu­te zu Häu­fun­gen in ein­zel­nen Wohn­quar­tie­ren. Dies wider­spricht dem Grund­satz der dezen­tra­len Unter­brin­gung und ist nicht integrationsfördernd.
  2. Die SWG hat den Auf­trag, Wohn­raum für die brei­ten Schich­ten der Bevöl­ke­rung bereit­zu­stel­len. Bei der Abga­be jeder frei­wer­den­den Woh­nung an die Stadt kom­men Men­schen mit gerin­gen oder mitt­le­ren Ein­kom­men, die evtl. bereits in Fried­richs­ha­fen leben und arbei­ten und/​oder hier als aus­ge­bil­de­te Fach­kräf­te drin­gend benö­tigt wer­den, nicht mehr zum Zug.

Des­halb haben wir dafür gestimmt, dass maxi­mal zehn Woh­nun­gen (statt 15) pro Jahr für geflüch­te­te und obdach­lo­se Men­schen von der SWG bereit­ge­stellt wer­den sol­len. Die­se Vari­an­te wur­de bei zwölf Gegen­stim­men ange­nom­men. Und wir haben dafür gestimmt, dass die­se Rege­lung auf drei Jah­re befris­tet wird (Alter­na­ti­ven waren „unbe­fris­tet“ und „auf 5 Jah­re befris­tet“). Die­se Befris­tung gibt uns die Mög­lich­keit, zeit­nah reagie­ren zu kön­nen, für den Fall, dass der aktu­el­le Beschluss nicht zum gewünsch­ten Ziel führt. Die­se Vari­an­te wur­de mit elf Gegen­stim­men angenommen.

Gleich­zei­tig wur­de vom Gemein­de­rat ein­stim­mig beschlos­sen, dass sowohl die SWG als auch die Zep­pe­lin Wohl­fahrt (die der Stadt bis 2025 jähr­lich 5 Woh­nun­gen aus ihrem Bestand zur Ver­fü­gung stellt), mit­tels städ­ti­scher Grund­stü­cke sowie För­der­pro­gram­men des Bun­des und des Lan­des in die Lage ver­setzt wer­den sol­len, dort geeig­ne­te Wohn­ge­bäu­de in Modul-/Leicht­bau- oder Mas­siv-Bau­wei­se zu erstellen.

Die kom­plet­te Sit­zungs­vor­la­ge inklu­si­ve des Beschlus­ses des Gemein­de­rats vom 22.07.2020 könnt ihr hier nachlesen

Defi­ni­ti­on Gemein­schafts­un­ter­künf­te und Anschlussunterbringung

Men­schen, die in Deutsch­land Asyl suchen, wer­den zunächst für die Zeit der Erst­un­ter­brin­gung in Gemein­schafts­un­ter­künf­ten (GU) unter­ge­bracht. Dafür ist der Land­kreis zuständig.

Wäh­rend der Dau­er des Asyl­ver­fah­rens – maxi­mal 24 Mona­te – sind Asyl­su­chen­de ver­pflich­tet, in der GU zu woh­nen. Nach zwei Jah­ren besteht recht­lich die Mög­lich­keit, in eine pri­vat gemie­te­te Woh­nung umzu­zie­hen (soweit vor­han­den). Für die­se soge­nann­te Anschluss­un­ter­brin­gung sind die Städ­te und Gemein­den zuständig.

Mehr über die Unter­brin­gung von Geflüch­te­ten erfahrt ihr hier

Die Dis­kus­si­on auf Landesebene

Anfang 2020 kam es auf Lan­des­ebe­ne anläss­lich eines Antrags der SPD-Frak­ti­on zu einer Dis­kus­si­on über den Umgang mit gut inte­grier­ten Men­schen ohne Blei­be­recht (= Gedul­de­te). Dabei ging es um die Fra­ge, ob Asylbewerber:innen mit fes­ter Arbeits­stel­le (aber ohne Blei­be­recht) abge­scho­ben wer­den dür­fen. Die­se Fra­ge wur­de inner­halb der Lan­des­re­gie­rung (Grü­ne / CDU) kon­tro­vers dis­ku­tiert. Wäh­rend die Grü­ne Frak­ti­on deut­lich hin­ter der Unter­neh­mer-Initia­ti­ve „Blei­be­recht durch Arbeit“ stand, sah Innen­mi­nis­ter Strobl (CDU) sei­nen Ermes­sens­spiel­raum auf Lan­des­ebe­ne bereits aus­ge­reizt. „Ermes­sen kann man nur dort aus­üben, wo es auch ein Ermes­sen gibt.“ sag­te er und ver­wies außer­dem auf die Regie­rungs­ko­ali­ti­on im Bund: „Auf­ent­halts­recht ist Bun­des­recht, das das Land nur vollzieht.“

War­um hat die Grü­ne Frak­ti­on dann trotz­dem gegen den Antrag der SPD auf Blei­be­recht für Per­so­nen mit Arbeit gestimmt?

In der poli­ti­schen Arbeit müs­sen stän­dig Kom­pro­mis­se ein­ge­gan­gen wer­den. Das ist vor allen Din­gen dann der Fall, wenn zwei Par­tei­en ein Bünd­nis, also eine Koali­ti­on ein­ge­hen, um regie­ren zu kön­nen. In die­sem kon­kre­ten Fall ging es um meh­re­re innen­po­li­ti­schen Ver­ein­ba­run­gen, die die Regie­rungs­ko­ali­ti­on Mit­te Dezem­ber 2019 getrof­fen hat­te. Unter ande­rem ging es um ein neu­es Poli­zei­ge­setz, wonach Poli­zis­ten in bestimm­ten Fäl­len künf­tig soge­nann­te Body­cams auch in Woh­nun­gen oder Dis­ko­the­ken ein­set­zen kön­nen. Die Grü­nen im Land­tag woll­ten das neue Poli­zei­ge­setz nicht mit­tra­gen, solan­ge wei­ter­hin Flücht­lin­ge mit Arbeit abge­scho­ben wer­den. Infol­ge kam es zu einem poli­ti­schen Kom­pro­miss, bei dem die Grü­nen im Land­tag gegen den SPD-Antrag stimm­ten, gleich­zei­tig jedoch meh­re­re Initia­ti­ven für das Blei­be­recht für gut inte­grier­te Gedul­de­te starteten.

Was genau die Grü­nen im Land­tag unter­nom­men haben, könnt ihr hier nachlesen