Foto: Menschenfotografin Lena Reiner
Heute wurde im Häfler Gemeinderat über den Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen zur Solidarisierung Friedrichshafens mit den Zielen der SEEBRÜCKE – Sichere Häfen abgestimmt. Leider fand er nicht nur keine Mehrheit, sondern lief gegen eine Wand sämtlicher anderer Fraktionen, die alle ihre Gründe für die Ablehnung bereits im Vorfeld gefunden hatten. Auch die Verwaltung blieb, ohne auf die von mir genannten Argumente einzugehen, bei ihrer Empfehlung, keine Solidaritätserklärung abzugeben. Letztlich stimmte die Mehrheit der Gemeinderäte für den Beschlussantrag der Verwaltung, lediglich die Mitglieder der Grünen-Fraktion verweigerten die Zustimmung zu einer Erklärung, die lediglich den Standard und das Selbstverständliche formuliert.
Eine kleine Zusammenfassung der Fraktionserklärungen:
CDU-Fraktion:
- Man muss das Thema nüchtern betrachten.
- Es handelt sich um eine Aufgabe des Bundes, nicht um eine kommunale Aufgabe.
- Wir haben unsere humanitäre Pflicht bereits erfüllt.
- Bislang verlief die Aufnahme von Flüchtlingen in Friedrichshafen ruhig und geräuschlos.
- Ehrenamtliche sagen, sie fühlen sich überfordert.
- Die Situation im Mittelmeer ist schwer zu ertragen, das ist schlimm, aber Schuld sind die Schlepper.
Fraktion Freie Wähler:
- Wir würden gerne zustimmen, können aber nicht.
- Derzeit muss die Stadt noch 180 Menschen in eine Anschlussunterbringung unterbringen.
- Zu einem späteren Zeitpunkt, bei gleichzeitiger Entspannung der Situation würden wir vielleicht zustimmen.
SPD-Fraktion:
- Es besteht keine Kompetenz der Kommune, es ist Bundessache.
- Wir sind schon ein sicherer Hafen.
- Schleuser tragen die Schuld.
- Es bedarf Aufklärung in den Herkunftsländern, dass die Menschen nicht in die Boote steigen.
Fraktionsgemeinschaft ÖDP/Parteilos:
- Die Argumente der Verwaltung überzeugen.
- Die CDU-Argumentation trifft es genau.
FDP-Gruppe:
- Im ersten Moment klingt der Antrag gut.
- Auf den zweiten Blick: Es müssen noch 180 Menschen untergebracht werden.
- Außerdem kommen sowieso fortlaufend Menschen zu uns, die wir unterbringen müssen.
Unsere Fraktionserklärung im Wortlaut:
Ich möchte meine Stellungnahme zu unserem Antrag in drei Bereiche gliedern:
1. Um was geht es uns
2. Wo sehen wir unsere Verpflichtung und
3. Wo sehen wir unsere Möglichkeiten und unser Rechte als Kommune und als Gemeinderat
Um was geht es uns?
- Unser Antrag ist ein politisch-moralischer Antrag, ein Antrag, der nach unserer Menschlichkeit fragt, nach unserer Fähigkeit, humanitär zu handeln.
- Wir beantragen, dass der Gemeinderat beschließt, sich mit den Zielen der Organisation SEEBRÜCKE zu solidarisieren und darüber zu entscheiden ob und wenn ja, wie viele Menschen wir über die Anzahl der uns zugewiesenen hinaus, bei uns in der Stadt aufnehmen werden. Dabei sind wir völlig frei, zu bestimmen, ob wir im kommenden Jahr oder in einem anderen von uns gewählten Zeitraum einem, 10, 50 oder keinem zusätzlichen Menschen das Leben retten. Wir, die wir hier bestens versorgt und gut klimatisiert sitzen, haben diese Entscheidung heute in der Hand.
- Seit 2014 sind bereits 36.000 Menschen im Zentral-Mittelmeer auf der Flucht ertrunken.
- Menschen, die vor Hunger und keinem Zugang zu sauberem Trinkwasser, vor Verfolgung, Folter, Misshandlungen, Vergewaltigung, Sklaverei, Krieg, Terror und Tod aus ihren Herkunftsländern fliehen.
- Menschen, aus Afrika, die nach Libyen fliehen. Nicht alle mit dem Ziel, von dort aus weiter nach Europa zu fliehen. Die Gefahren der Mittelmeerroute sind bekannt. In Libyen zu bleiben ist allerdings keine Option, hier herrschen für die Flüchtenden kaum bessere Bedingungen als in ihren Herkunftsländern.
- Um es klar und deutlich zu sagen: Libyen ist kein sicherer Hafen! Botschafter des Auswärtigen Amtes sprechen von „Konzentrationslager ähnlichen Zuständen“ in den Lagern Libyens.
- Die Ver- und Behinderung der Seenotrettung verhindert keine Flucht. Tatsächlich nehmen Menschen trotz fehlender Rettungsschiffe aus Mangel an Alternativen und ungeachtet der Risiken die Flucht über das Mittelmeer weiter auf sich. Der einzige Unterschied ist: Das Risiko, bei der Flucht zu sterben, ist jetzt fast viermal höher als im vergangenen Jahr, so die Zahlen der Internationalen Organisation für Migration.“
- In der Vorberatung im FVA wurde angemerkt, dass die Probleme der Menschen besser behoben werden könnten, wenn wir uns dafür einsetzen würden, die Fluchtursachen zu bekämpfen. Ungeachtet dessen, dass dies sicher sinnvoll ist, hilft das den Menschen, die sich jetzt bereits auf der Flucht, in menschenunwürdigen Lagern oder auf dem Mittelmeer befinden, überhaupt nichts. Wir sind, im Rahmen unserer Möglichkeiten, zum Handeln aufgefordert und zwar jetzt.
- Örtlicher Bezug zu Friedrichshafen: Neben dem Bodensee und der damit verbundenen Nähe zur Seenotrettung gibt es einen weiteren Bezug durch Zoe Katharina. Sie ist Häflerin und war auf dem Rettungsschiff Iuventa der Organisation „Jugend rettet“, unterwegs. Zoe war zum Zeitpunkt ihres Einsatzes auf der Iuventa 21 Jahre alt. Sie war dafür zuständig, die Menschen, nach geltendem internationalem Seerecht, aus seeuntauglichen Schlauchbooten zu retten und die Boote nach Beendigung der Rettungsaktion zu zerstören.
- Wenn Zoe von ihrem Einsatz auf der Iuventa berichtet, schildert sie immer wieder die Situationen, in denen sie Menschen aus einem kaputten Schlauchboot auf das sichere Schiff ziehen will und sie aufgrund chemischer Prozesse durch das Salzwasser-Benzin-Urin-Gemisch, nur die Haut der Ertrinkenden in Händen hält.
- Heute ist Zoe von der italienischen Regierung angeklagt. Der Prozess wird im Herbst 2019 stattfinden. Im schlimmsten Fall drohen ihr 2,1 Mio. EUR Strafgeld und eine Gefängnisstrafe von 20 Jahren.
Wo sehen wir unsere Verpflichtung?
- Unsere Verpflichtung gilt den Menschen die fliehen, weil sie leben wollen. Und nach unser aller Verständnis haben sie auch ein Recht auf Leben. Verpflichtet haben wir uns mit der Ratifizierung der
- Allgemeine Menschenrechtscharta:
- Artikel 3: Jeder hat das Recht auf Leben, Freiheit und Sicherheit der Person.
- Europäische Menschenrechte:
- Art. 2, Recht auf Leben: (1) Das Recht jedes Menschen auf Leben wird gesetzlich geschützt. 2Niemand darf absichtlich getötet werden, außer durch Vollstreckung eines Todesurteils, das ein Gericht wegen eines Verbrechens verhängt hat, für das die Todesstrafe gesetzlich vorgesehen ist.
- Grundgesetz:
- Artikel 2: (2) Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit. Die Freiheit der Person ist unverletzlich. In diese Rechte darf nur auf Grund eines Gesetzes eingegriffen werden.
- Seerechtsübereinkommen (SRÜ)
- ART. 98:
- Jeder Staat verpflichtet den Kapitän eines seine Flagge führenden Schiffes, jeder Person, die auf See in Lebensgefahr angetroffen wird, Hilfe zu leisten“.
- Push-Backs in Richtung Nordafrika und Fluchttransitstaaten ist laut dem EGM verboten. Denn es besteht nicht nur das Gebot, Menschen aus Seenot zu retten, sondern sie auch in einen „sicheren Hafen“ zu bringen. Sicher – das heißt: Die vor dem Ertrinken Bewahrten, dürfen nicht dort an Land gebracht werden, wo ihnen Gefahr für Leib und Leben droht.
- Urteil von 2012: Schutz für Flüchtlinge im Mittelmeer
- Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte beurteilt die Massnahmen Italiens, die Einwanderung über das Mittelmeer mittels Abfangen der Schiffe und Rücktransport der Bootsflüchtlinge nach Libyen zu verhindern, als nicht vereinbar mit der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK). Das Urteil der Grossen Kammer erging einstimmig.
- Kurz zusammenfassen kann ich das mit der Aussage, die gestern auf dem evangelischen Kirchentag vorgetragen wurde: „Man lässt keine Menschen ertrinken. Punkt.“
Wo sehen wir unsere Möglichkeiten und Rechte als Kommune und Gemeinderat? (Quelle: bpb)
- Im Gegensatz zu der von der Verwaltung zitierten nicht vorhandenen Befassungs- und Beschlusskompetenz sehen wir das Kommunales Selbstbestimmungsrecht:
- Kraft ihres kommunalen Selbstbestimmungsrechts dürfen Städte und Gemeinden über die vom Land zugewiesenen Aufgaben hinaus in freiem Ermessen selbst bestimmen, welche zusätzlichen Aufgaben sie im Rahmen ihres Selbstbestimmungsrechts freiwillig wahrnehmen möchten (sogenannte Allzuständigkeit).
- Welche Politik- und Handlungsfelder von diesem Recht umfasst sind, ist gesetzlich nicht abschließend vorgegeben und unterliegt einem ständigen Wandel. So werden Kommunen mittlerweile auch im Zusammenhang mit globalen Angelegenheiten tätig, etwa in der Außen- und Klimapolitik, beim Schutz von Menschenrechten und im Migrationsmanagement. Dies geschieht insbesondere über transnationale Städte-Netzwerke.
- Im Rahmen ihrer Allzuständigkeit dürfen sie auch neue Aufgaben an sich ziehen (sogenannte Spontaneität), etwa aus politischen, wirtschaftlichen, sozialen oder ökologischen Interessen heraus. Inwieweit dies auch für den Bereich der Flüchtlingsaufnahme aus dem Ausland gilt, wird rechtlich von zwei Aspekten bestimmt: Kommunen haben ein Selbstbestimmungsrecht lediglich für „örtliche Angelegenheiten“ und müssen dabei die geltenden Gesetze beachten.
- Und um das weitere hier abzukürzen: Die Flüchtlingsaufnahme kann als örtliche Angelegenheit definiert werden.
- Dazu eine Aussage des Deutschen Städtetags, dessen Mitglied Friedrichshafen ist:
Deutscher Städtetag (27.07.2018)
Hier sagt Verena Göppert, stellvertretende Hauptgeschäftsführerin des Deutschen Städtetages, zum Brief der Oberbürgermeisterin von Köln und der Oberbürgermeister von Düsseldorf und Bonn an die Bundeskanzlerin zur Aufnahme von Flüchtlingen:
„Solange Menschen auf der Flucht im Mittelmeer sterben, muss es intensive politische Anstrengungen geben, dieses Drama zu lösen. Der Deutsche Städtetag hält es deshalb für eine große Geste, dass die Städte Köln, Düsseldorf und Bonn ein Signal für Humanität, für das Recht auf Asyl und für die Integration Geflüchteter setzen wollen. Ob andere Städte ebenfalls anbieten können, Menschen aus der Seenotrettung aufzunehmen, bis eine europäische Lösung vereinbart ist, kann nur vor Ort entschieden werden.“
Unser Fazit:
- Die von der Verwaltung angebotene eigene Erklärung, ist unserer Ansicht nach politisch ohne Durchsetzungskraft. In diesem Fall kommt es jedoch auf ein starkes Bündnis an, dem sich bis heute bereits 60 Kommunen in Deutschland angeschlossen haben, 7 davon in Baden-Württemberg.
- Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hält an ihrem Antrag fest und wird der von der Verwaltung vorgeschlagenen Formulierung einer eigenen Erklärung nicht zustimmen. Wir wollen keine formulierten Selbstverständlichkeiten und Standards.
- Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich appelliere an Sie, verschließen Sie Ihre Augen und Herzen nicht und lassen Sie uns das tun, was uns zu Menschen macht: Stimmen Sie dem Antrag zur Solidarisierung mit SEEBRÜCKE zu und lassen Sie uns das Mögliche tun.