Es ist nicht anders als in anderen Beziehungen: So einen Schlussstrich zieht man in der Regel nicht leichtfertig und er lässt sich meist auch nicht an einem einzigen Vorkommnis oder einer einzigen Unstimmigkeit festmachen. Meist sind es die vielen kleinen Dinge, die sich ansammeln, dann noch ein, zwei größere Dispute die Werte und Grundsätze in Frage stellen und auf einmal steht dann die Frage im Raum: Können wir zwei eigentlich noch miteinander?
Warum ich mich politisch engagiere
Ich bin vor 33 Jahren in die SPD eingetreten, weil mir eine sozial gerechte Gesellschaft außerordentlich wichtig war. Mein politischer Einsatz galt und gilt
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Einem selbstbestimmten und würdevollen Leben aller Menschen
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Der Solidarität zwischen jung und alt, reich und arm
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Einer Umweltpolitik, die versteht, dass die ökologische Frage ganz vorrangig eine soziale Frage ist
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Der Idee, dass soziale Gerechtigkeit zu einer starken und prosperierenden Wirtschaft führt
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Dem Gedanken, dass von Veränderungen in der Arbeitswelt die gesamte Gesellschaft profitieren muss
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Einer leistungsstarken Infrastruktur zur Förderung der sozialen Gerechtigkeit
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Einem offenen, sozialen und demokratischen Europa, das den europäischen Zusammenhalt auch durch konkrete soziale, wirtschaftliche, friedenspolitische und kulturelle Initiativen stärkt.
Manche meiner (Zeit-)Genossen werfen mir angesichts meiner Haltung Sozialromantik und linke Gesinnungsethik vor. Im Grunde ist es mir egal, wie andere das nennen, mir sind diese Punkte wichtig.
Ich wünschte mir inhaltlich eine starke Streit- und Debattenkultur. Eine transparente Politik auf Augenhöhe mit denen, die sie betrifft: den Menschen, die hier leben. Ich wünschte mir eine SPD, die auch mal unbequem ist. Die sich der Herausforderung der Regierungsbeteiligung stellt, aber nicht um jeden Preis. Ich wünschte mir eine SPD, die selbstbewusst gerechte, solidarische und nachhaltige Antworten auf die ökologischen und sozialen Fragen in Deutschland, in Europa und in der Welt erarbeitet.
Gründe für den Austritt
Ich habe in den vergangenen drei Jahrzehnten durchaus Höhen und Tiefen mit meiner SPD durchgestanden. Die für mich erlebbare grundlegende Haltung und Richtung habe ich als weitgehend passend empfunden und bewertet.
In den letzten Wochen und Monaten hat sich die SPD auf Bundes‑, Landes- und kommunaler Ebene in eine Richtung entwickelt, die sich nicht mehr mit meinen Werten und meiner Grundhaltung deckt.
Der Wiedereintritt in eine Große Koalition
Nach wie vor halte ich die Inhalte des Koalitionsvertrags für nicht zukunftsfähig. Der gesamte innerparteiliche Prozess ab der Bundestagswahl bis zum Mitgliedervotum hat Interessen, Ansichten und Haltungen vieler Mitglieder ausgeschlossen. Sowohl auf Bundes- als auch auf kommunaler Ebene.
Kommunalpolitik
Ich war zunehmend irritiert darüber, dass ich in Punkten, die ich als wesentlich für eine zukunftsfähige Stadtentwicklung halte, häufig gegen meine eigene Fraktion argumentiert und gestimmt habe.
Als ich diesen Text geschrieben habe, kam ich in ein Dilemma. Einerseits sind alle Punkte, die ich aufführen kann bereits diskutiert, die Argumente ausgetauscht und der Gemeinderat hat eine Entscheidung gefällt, die ich selbstverständlich respektiere. Ich möchte an dieser Stelle nicht die Diskussion erneut aufmachen.
Andererseits ist es mir wichtig, meine Gründe deutlich zu machen und das geht anhand von Beispielen oft am besten. Deshalb habe ich mich entschieden, einige Beispiele aufzuführen.
Beispiel: MIV vs. ÖPNV
Ich trete dafür ein, die Balance zwischen Autoverkehr auf der einen Seite und ÖPNV, Fahrrad, Fußgängern auf der anderen Seite deutlich in Richtung der alternativen Mobilitätsformen zu verschieben. Diese halte ich sowohl für sozial gerechter als auch für zukunftsträchtiger im Sinne einer lebenswerten Stadt.
Beispiel: Grün in der Stadt
Angesichts der Veränderung von Groß- und Kleinklima setze ich mich für mehr Grün in der Stadt ein. Das bedeutet u.a. den Erhalt von Grünflächen, verpflichtendes Grün bei Neubebauung sowie Förderung von Fassaden- und Dachbegrünung. Ebenso die Förderung der Artenvielfalt im Stadtgebiet.
Beispiel: Soziale und solidarische Stadtgesellschaft
Besonders erschütternd fand ich die Haltung der SPD-Fraktion bei der Entscheidung um die Erhöhung der Bäderpreise. Die Bäder sind für viele Häfler jeden Alters Sportangebot, Treffpunkt, Spielplatz und Lebensqualität zugleich. Die von meiner Fraktion befürwortete Neugestaltung der Bäderpreise benachteiligt Menschen mit niederen und mittleren Einkommen, die keinen Anspruch auf eine Ermäßigung aufgrund ihres Alters oder sonstiger Lebenssituationen haben. Das ganze wegen eines Betrags (22.000,- €), der derzeit für die Stadt und Stiftung nicht existenziell ist.
Beispiel: Neubesetzung der Dezernentenstelle im Dezernat II
Selbstverständlich: Hier ist noch keine Entscheidung getroffen und ich gehe davon aus, dass sich die SPD Fraktion und der Gemeinderat ans Grundgesetz (Artikel 33, Absatz 2) halten und tatsächlich eine Besten-Auswahl nach fachlichen Gesichtspunkten treffen.
Ich wünsche mir zum Wohle der Stadt eine Frau oder einen Mann, die/der Erfahrungen aus einer modernen Verwaltung mitbringt, die/der in den Themenbereichen des Dezernats 2 sattelfest ist und Friedrichshafen dahingehend zukunftsfähig macht und last but not least sachlich kompetent nicht vor Konflikten zurückscheut.
Wichtig ist dabei für mich: Die Fachlichkeit einer Bewerberin / eines Bewerbers muss vor parteiinternen Interessen stehen. Es handelt sich um ein administratives exekutives Amt in dem Fachkenntnis zählt und nicht um die Vergabe eines parteiinternen politischen Amtes.
Ich fände es mutiger und gleichzeitig wirksamer für die Zukunft unserer Stadt, einen geeigneten Bewerber von außen zu wählen.
Warum schließe ich mich der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen als parteiloses Mitglied an
Ich möchte und werde das mir von den Wählerinnen und Wählern vertrauensvoll gegebene politische Mandat weiter für die Menschen der Stadt einsetzen. Wirksam geht dies nur im Rahmen einer Fraktion.
Bei mit meiner Fraktion strittigen – und für mich wichtigen – Punkten fand ich mich immer häufiger in guter Gesellschaft mit der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Das gemeinsame Themenspektrum reicht von Flughafen, über Straßenbau, Umwelt- und Mobilität bis hin zu sozialen Themen.
Ich schätze die Mitglieder der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen persönlich und für ihre Arbeit im Gemeinderat sowie für ihre transparente Streit- und Debattenkultur.
Gleichzeitig möchte ich nicht sozusagen von „einer Ehe in die nächste“ wechseln, sondern werde der Fraktion zunächst als parteiloses Mitglied angehören.
Christine Heimpel
09.08.2018