Gemessen an den Zuschauerzahlen war in der heutigen Gemeinderatssitzung der wichtigste Tagesordnungspunkt der zur Flächennutzungsplanänderung und zum Bebauungsplan Adelheidstraße Ost. Zahlreiche Beschäftigte von Liebherr Aerospace und ATT sowie EinwohnerInnen, die das Waldstück vor der Abholzung schützen möchten saßen auf der Tribüne und sogar vor dem Ratssaal, wo extra bestuhlt worden war. Nach langer Diskussion für und wider die Betriebserweiterung auf der heutigen Waldfläche stimmte der Gemeinderat bei 10 Gegenstimmen mehrheitlich für die beiden Beschlüsse zur Adelheidstraße Ost.
Der folgende Text ist eine Zusammenfassung aus der Sitzungsvorlage der Verwaltung und der heutigen Gemeinderatssitzung.
2018 / V 00288 Flächennutzungsplanänderung Nr. 8 „GE Adelheidstraße Ost“ – Aufstellungsbeschluss
2018 / V 00287 Bebauungsplan Nr. 198 „GE Adelheidstraße Ost“ – Aufstellungsbeschluss
Worum geht es?
Gewerbeflächen, vor allem größere, sind knapp in der Stadt. Um Gewerbe- und Industriebetriebe zu gewinnen und/oder zu halten sind sie aber zwingend notwendig. Argumente wie Gewerbesteuer und Arbeitsplätze sind dabei auch richtig und wichtig. Jetzt benötigt die Firma Liebherr sowie das Joint-Venture ATT aufgrund von Luftfahrt-Wachstumsprognosen bis zum Jahr 2035 weitere Flächen. Dabei gibt es konkret zwei Grundstücke, die in Frage kommen. Eines liegt aus Sicht des bestehenden Betriebs auf der anderen Seite der Bahnlinie und ist von daher als ökonomisch nicht optimal, jedoch ökologisch deutlich unbedenklicher einzuschätzen. Das andere befindet sich in direkter Fortführung des besehenden Firmengeländes und bedeutet eine großzügige Abholzung eines Teils des Seewaldes. In der Verwaltungsvorlage wird die ökonomisch optimale Variante präferiert, die jedoch einen massiven Einschnitt in das bestehende Ökosystem Seewald bedeutet.
Die Änderung des Flächennutzungsplans (FNP)wird notwendig, weil die genannte Fläche derzeit im FNP der Verwaltungsgemeinschaft Friedrichshafen-Immenstaad als Waldfläche und nicht als gewerbliche Baufläche dargestellt ist. Im Vorentwurf der geplanten FNP-Änderung nimmt die geplante gewerbliche Baufläche eine Größe von ca. 3,4 ha ein. Parallel zum Änderungsverfahren soll auch ein Bebauungsplanverfahren eingeleitet werden.
Aus der Sitzung:
Die Verwaltung gab in ihrem einführenden Input folgende Informationen
- Es wird bereits seit 2 – 3 Jahren über den Erweiterungswunsch von Liebherr Aerospace gesprochen
- Das Angebot des alternativen Grundstücks auf der anderen Seite der Bahnlinie besteht ebenfalls seit 2 Jahren
- Die Firma Liebherr überbaut aktuell ihr Firmengelände neu
- Die Waldeigentümer sind entlang der Bahnlinie die DB und entlang der B 30 das Land Baden-Württemberg (Staatsforstverwaltung)
- Das Regierungspräsidiums Tübingen hat der Waldumwandlung unter bestimmten Bedingungen (nicht weiter konkretisiert) zugestimmt
- Das Regierungspräsidiums Freiburg, zuständig für den Verkauf des Grundstückes, verkauft das Grundstück ausdrücklich nicht auf Vorrat
- Als Ausgleich soll ein höherwertiger Wald auf der Gemarkung Friedrichshafen gepflanzt werden. Dabei geht es um Waldausgleich nicht um Tierausgleich.
- Die Firmen Liebherr Aerospace und ATT haben derzeit ca. 380 Mitarbeiter
- Mittel- bis langfristig steigt der Flächenbedarf noch einmal
In der Fragerunde der Gemeinderäte wurde auf Nachfragen weitere Informationen gegeben:
- Derzeit kann nicht abschließend gesagt werden, ob es einer Ausnahmeregelung bedarf oder ob Kompensationsmaßnahmen möglich sind
- Es wurden bislang keine Gespräche mit den beiden Firmen geführt, ob eine (evtl. Geförderte) Überbrückung/Untertunnelung der Bahnlinie eine gangbare Lösung wäre
- Es gibt derzeit keine Aussagen dazu, ob das Land Baden-Württemberg (Wirtschaftsförderung) eine Überbrückung/Untertunnelung fördern würde
- Das Landesministerium für ländlichen Raum hat signalisiert, dass § 44 Bundesnaturschutzgesetz (Verbotstatbestände) keine unüberbrückbare Hürde darstellen wird
- Eine Gegenrechnung Kosten Ausgleichsfläche Sven. Kosten Brücke/Tunnel ist Sache der Firmen Liebherr Aerospace und ATT
Im weiteren Verlauf der Sitzung stellte die CDU einen Antrag zur Geschäftsordnung, die beiden TOPs von der heutigen Tagesordnung zu nehmen. Der Oberbürgermeister plädiert allerdings für einen klaren Auftrag des Gemeinderats an die Verwaltung.
Der CDU-Antrag wurde im Verlauf der weiteren Diskussion wieder zurückgezogen.
Uli Heliosch argumentiert für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen für eine heutige Abstimmung der TOPs. „Wir haben eine Haltung zu diesem Thema und würden diese heute auch gern kundtun.“
Der Oberbürgermeister sagt zu, dass zur nächstmöglichen Sitzung ein Vertreter von Liebherr Aerospace nichtöffentlich eingeladen werden wird, um die Fragen die Firma / die Firmen betreffend zu beantworten.
Beschlussantrag (2018 / V 00288)
- Der Vorlage des Stadtplanungsamtes zur Aufstellung der Flächennutzungsplan-Änderung Nr. 8 „GE Adelheidstraße Ost“ wird zugestimmt. Grundlage ist der Lageplan des Stadtplanungsamtes mit eingetragenen Änderungen (Vorentwurf) Anlage 2 vom 25.09.2018 sowie die Begründung zur Änderung (Vorentwurf) Anlage 3 vom 25.09.2018.
- Die frühzeitige Öffentlichkeitsbeteiligung nach § 3 Abs. 1 Baugesetzbuch (BauGB) wird durch öffentliche Bekanntmachung und dreiwöchigen Aushang durchgeführt.
- Die zu beteiligenden Behörden und Träger öffentlicher Belange werden gemäß § 4 Baugesetzbuch (BauGB) um Stellungnahme gebeten.
Beschlussantrag (2018 / V 00287)
- Der Aufstellung des Bebauungsplans Nr. 198 „GE Adelheidstraße Ost“ wird zugestimmt. Grundlage ist der Lageplan des Stadtplanungsamtes mit eingetragenem Geltungsbereich M1:1000 (Vorentwurf) vom 25.09.2018 sowie die Begründung zum Bebauungsplan (Vorentwurf) vom 25.09.2018.
- Die frühzeitige Öffentlichkeitsbeteiligung nach § 3 Abs. 1 Baugesetzbuch (BauGB) wird durch öffentliche Bekanntmachung und dreiwöchigen Aushang im Technischen Rathaus durchgeführt.
- Die zu beteiligenden Behörden und sonstige Träger öffentlicher Belange werden gemäß § 4 Abs. 1 Baugesetzbuch (BauGB) um Stellungnahme gebeten.
Meine Haltung:
Ich halte diesen Eingriff aus folgenden Gründen für nicht vertretbar:
- Es gibt eine Alternativfläche zur Betriebserweiterung. Die ist zwar ökonomisch nicht optimal, dafür ökologisch deutlich unbedenklicher.
(Zitat aus der Sitzungsvorlage: „Bisher war eine in der Nähe vorhandene Fläche von 22.125 m² im Gewerbegebiet „Am Flughafen“ für diese Erweiterungsabsichten reserviert. Eine Erweiterung der bereits bestehenden Werkshallen am Standort in der Adelheidstraße mit den entsprechenden Synergien vor Ort wird aber als deutlich bessere Lösung erachtet.“)
- Auf dem neu zu erwerbenden Grundstück (Waldstück) sollen folgende Projekte realisiert werden: Erweiterung der Produktionsfläche, Aufbau eines Ausbildungszentrums, Schaffung von Parkraum sowie die Modernisierung der Mitarbeiterkantine. Viele der genannten Punkte könnten ohne weiteres auch auf der anderen Seite der Bahnlinie realisiert werden, wenn kreative Lösungen zugelassen werden.
- Die gesetzlich vorgeschriebenen Ausgleichsflächen die von den Befürwortern im Gemeinderat in unmittelbarer Nähe gefordert werden, müssen dreimal so groß wie das abzuholzende Waldstück sein. Das einzige Gelände, das in unmittelbarer Nähe eine entsprechende Größe hat, ist das des Flugplatzes. Konsequenterweise hieße das, dass die Bäume auf dem Rollfeld des Flughafens gepflanzt werden müssten. Angesichts dessen könnte man dann sinnvollerweise auch gleich das Gewerbe auf das Flugplatzgelände umsiedeln.
(Zitat aus der Sitzungsvorlage: „Es besteht sehr wahrscheinlich ein hoher Maßnahmen- und Flächenbedarf für Funktionserhalt bzw. Maßnahmen zur Vermeidung einer Verschlechterung des Erhaltungszustands von Populationen betroffener Arten.“) - Der Seewald dient als relevantes Frischluftentstehungsgebiet und ist immens wichtig für das Stadtgebiet.
(Zitat aus der Sitzungsvorlage: „Die Eingriffsschwerpunkte liegen bei den Schutzgütern Fläche, Boden, Wasser, Tiere, Pflanzen und biologische Vielfalt. Die Folgen für die Umwelt sind erheblich und bedürfen vsl. umfänglicher Kompensationsmaßnahmen.“) - Auch auf der Südseite des Seewaldes wird es zu weiteren Abholzungen kommen, wenn dieB31 in Richtung Eriskirch um eine Fahrspur erweitert wird. Damit schmilzt die größte Waldfläche in Friedrichshafen nach und nach zugunsten von vermutlich mittelfristig nicht zukunftsfähigen Mobilitätsformen.
- Und was das Argument der Gewerbesteuer und der Arbeitsplätze angeht: Umwelt ist nicht alles. Aber ohne Umwelt ist alles nichts. Würde man auf Basis der Gemeinwohlökonomie bilanzieren, wäre die Diskussion wohl bereits beendet.
Statement des BUND Friedrichshafen:
- Der Vorbereitende Umweltbericht (VUB) für diesen Bebauungsplan betont, erhebliche Probleme mit dem Artenschutz und mit europäischem Umweltrecht (FFH-Lebensraumtypen und indirekt betroffene FFH-Gebiete).
- Die sicher notwendig werdenden Ausgleichsmaßnahmen („vorgezogene“ und „normale“) können die ökologischen Schäden bei Rodung des Waldes nicht ausgleichen, auch wenn sie so heißen. Um den Verlust eines solchen Waldes wirklich auszugleichen, müsste man jetzt in der Nähe einen neuen Wald pflanzen und mehrere Jahrzehnte warten, bis der neue Wald dem alten ähnelt und dann erst den jetzigen Wald roden, was natürlich nicht gemacht wird. Die in Bebauungsplänen festgelegten Ausgleichsmaßnahmen genügen zwar dem Gesetz (manchmal auch nicht), aber sie verhindern nicht den Tod von Tieren, z.B. weil die Fledermäuse ihre alten Baumhöhlen suchen und die neuen Nistkästen nicht finden. Bestenfalls können sie die Höhe der Verluste in Grenzen halten.
- Die im VUB genannte „Ausnahmegenehmigung“, die vermutlich nötig wird, bedeutet, dass man erlaubt und in Kauf nimmt, dass geschützte Tiere zu Schaden kommen und u.U. das lokale Vorkommen einer seltenen Art in Gefahr gerät.
- Wie bei jedem Bebauungsplan oder FNP-Änderung wird nur dieses eine Vorhaben in seinen ökologischen Auswirkungen betrachtet. Die Summierung der Auswirkungen der verschiedenen Bauvorhaben in und um FN wird erst in die Rechnungen einbezogen, wenn von einer Art offiziell festgestellt wird, dass sie sich dem Aussterben nähert. Wenn das noch nicht der Fall ist, wird meistens argumentiert, dass die Tiere ja in die Nachbarschaft ausweichen könnten. Dass da auch schon Tiere dieser Art wohnen und man nicht beliebig viele Tiere in einen Lebensraum „stopfen“ kann, spielt keine Rolle.
- Die jetzige Änderung des FNPs könnte ein Präzedenzfall werden, wenn in einigen Jahren evtl. weitere Flächen benötigt werden (VUB S. 4). Dann fällt das nächste Waldstück usw. Bezüglich möglicher Alternativen, um die Ausweitung des Betriebsgeländes in den Wald hinein zu vermeiden, möchte ich folgendes zu bedenken geben:
- Wir müssen uns schnellstens von der Vorstellung verabschieden, dass Gewerbebetriebe ein- oder höchstens zweistöckig sind und die Autos ebenerdig im Freien stehen. Diese Flächenverschwendung können wir uns nicht erlauben, wenn wir die Flächensparziele der Regierung einhalten wollen. Hier sehe ich durchaus Reserven bei Liebherr. Natürlich kann man schwere Maschinen nicht in den dritten Stock stellen, aber Büros können durchaus auf einer Produktionshalle gebaut werden. Der bisherige Parkplatz könnte überbaut und die Autos in eine Tiefgarage gestellt werden. (Oder noch besser wären Strategien, dass die Angestellten mit Fahrrad oder ÖPNV kommen können.) Wenn man das Aldi-Areal mit einbezieht, ist noch mehr Fläche verfügbar. Ob damit die jetzt in Frage stehenden über 3 ha ersetzt werden können, muss berechnet werden.
- Für Liebherr ist eigentlich ein Gelände im Gewerbegebiet am Flughafen reserviert werden (VUB S. 5), was Liebherr aber ablehnt, weil so zwei Standorte entstehen würden. Andere Betriebe in FN leben seit Jahrzehnten mit mehreren Standorten (z.B. ZF oder MTU). Bei entsprechender Aufteilung (z.B. Verwaltung an einem Standort, Produktion am anderen o.ä.) könnte das auch für Liebherr möglich sein, dies müsste bei der notwendigen Variantenprüfung berechnet werden. Die Entfernung zwischen den beiden Flächen beträgt auf der Straße etwa 1,5 km, diese Entfernung kann, wenn es notwendig sein sollte, schnell (z.B. per Betriebs-Fahrrad) überwunden werden. Man könnte in diesem Fall auch eine Fußgängerbrücke über die Eisenbahn und Flughafenstraße bauen, dann wäre es ein kleiner Spaziergang von einem Gelände zum anderen (z.B. zur Kantine).
So habe ich abgestimmt:
Ich habe gegen die Beschlussanträge der Verwaltung gestimmt.